Adliswil damals und heute

Ein Artikel von ariel leuenberger,

Über 30 Personen kamen zur ersten Tour der Plattform Zürcher Flüchtlingstag nach Adliswil. Sie wollten wissen, wie Flüchtlinge heute bei uns leben und wie es vor 70 Jahren war, zu Zeiten des zweiten Weltkriegs. Die Erwartungen wurden nicht enttäuscht: Fachleute erzählten an den Orten des Geschehens über ihre Arbeit und ihre Forschung.

 

Erste Station war das Nothilfezentrum Adliswil, ein ehemaliges Durchgangszentrum. Hier leben abgewiesene Asylsuchende und Flüchtlinge.

 

Warum abgewiesene Asylsuchende und Flüchtlinge die Schweiz nicht verlassen, sondern immer noch hier leben, erklärte Kathrin Stutz von der Beratungsstelle für Asylsuchende: Oft haben sie keine Papiere und können darum nicht reisen. Oder sie wollen aus Angst vor Repressionen nicht zurück in ihr Herkunftsland. Oder sie warten auf ein Rekursverfahren.

 

Im Nothilfezentrum erhalten abgewiesene Asylsuchende ein Bett in einem 4-Bett-Zimmer, zu Essen und medizinische Versorgung. Mehr gibt es nicht. Keine Arbeit, keine Bildung, keine Chancen. Ziel ist, dass sie die Schweiz möglichst rasch verlassen.

 

Mylène Nicklaus vom HEKS zeigte, wie es in den Räumen des Nothilfezentrums aussieht: Ein Spielzimmer für die Kinder, ein improvisiertes Fitnescenter für die Männer.

 

Kathrin Stutz berichtete aus ihrem Alltag: Viele abgewiesene Asylsuchende bleiben über mehrere Jahre im Nothilfezentrum. Ihre Kinder gehen normal zur Schule, sie selbst dürfen aber nicht arbeiten und haben daher oft mit psychischen Problemen zu kämpfen.

 

Die Menschen im Nothilfezentrum dürfen sich frei bewegen und Besucher empfangen. Sie erhalten wöchentlich 50 Franken. Mit diesem Geld müssen sie ihr ganzes Leben bestreiten (Essen, Klider, Gesundheit, Freizeit).

 

Vor der ehemaligen Seidenstoffweberei in Adliswil erklärte der Historiker Christian Sieber, wie es vor 70 Jahren ausgesehen hat. Bis zu 500 Flüchtlinge aus unseren Nachbarländern waren hier interniert: gerettet, aber hinter Stacheldraht. Schlafen mussten sie auf Stroh, nur für Mütter mit Kleinkindern standen im obersten Stock Betten bereit. Das Lager durften sie nicht verlassen. Nur zum Duschen wurden sie einmal pro Woche über den Hügel nach Kilchberg geführt. Viele Kinder wurden fremd platziert, bei Familien in und um Adliswil.

 

In diesem Haus wohnte während dem zweiten Weltkrieg der Pfarrer Ernst Kaul. Er wies die militärische Lagerleitung auf Missstände hin, half den Flüchtlingen, mit der Aussenwelt zu kommunizieren, und stand mit vielen auch nach dem Krieg noch in Kontakt.

 

Ein Bild von Robert Eisenstedt, der aus einem KZ in die Schweiz flüchtete und bei Pfarrer Kaul arbeiten durfte. Von ihm erfuhr Kaul aus erster Hand, wie grausam die Nazis wüteten. All dies recherchierte der Historiker Christian Sieber in seiner Freizeit, weil kaum mehr bekannt ist, dass in Adliswil einst so viele Flüchtlinge untergebracht waren.

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